Was gegen Leiden hilft

Es gibt Leiden, das zu groß ist, um es allein zu ertragen. Viele archaische Gesellschaften sind selbstverständlich darauf eingerichtet. Um den oder die Leidenden gruppieren sich die anderen, Klageweiber, Trauerchöre, der riesenhafte Kondukt der Weinenden. All das, was bis in die Spitzen der großen liturgischen Musik nachklingt. Das schreit zum Himmel: Das schafft niemand alleine. Das eigene Leiden wird von der Gruppe aufgenommen, verstärkt und vervielfältigt; die Hemmungen, es herauszuschreien, werden niedergelegt, es krächzt, tönt und klingt: ein kathartischer Prozess. Die Matthäuspassion, in ihrem riesenhaften Bogen von „Kommt ihr Töchter, helft mir klagen“ bis zu „Ruhe sanfte, sanfte ruh“ ist ein solcher kathartischer Prozess. Der stärkste Moment in dem Film ‚Midsommar‘: der rasende Schrei der Maikönigin, nachdem sie entdeckt hat, dass ihr Freund gerade mit einer anderen schläft: Schrei, in den die anderen Frauen einfallen und der darin vom Ausdruck der Verzweiflung zum höchsten Lebensausdruck sich wandelt.

Fast nichts ist davon geblieben. Ein paar Therapieangebote. Fußball. Vielleicht, ich weiß es nicht, bieten die großen Clubs die Möglichkeit. Deswegen nehmen wir, wenn das Leiden zu groß ist, um es alleine zu ertragen, Medikamente. Sie dämpfen es, versenken es in den Ozean der Gleichgültigkeit. An die Stelle der Abfuhr tritt Abstumpfung, an die Stelle der Anderen graue Leere, durch die sich gelegentlich Schatten bewegen. Was zur Entladung drängt, wird in sich zurückgestaut. Der Schrei geht nach innen. Auf Dauer ist das destruktiv. Wir sind ja keine Einzelwesen. Bestimmte Erfahrungen, nein, eigentlich all das, was man im nachdrücklichen Sinn Erfahrung nennen kann, geht über unsere Körpergrenzen hinaus. Es sind Erfahrungen, die uns mit anderen verbinden und aus der Verbindung mit anderen entstehen.

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