Rasender Stillstand

Warum ist sich Punk über all die Jahrzehnte gleichgeblieben – gleichgeblieben in dem Sinne, dass alle Weiterentwicklungen, die es gegeben hat, nicht hindern, dass es immer noch funktioniert wie 1978, wenn sich 3 Leute auf die Bühne stellen und spielen wie 1978? I – VI – VII – I, rundherumherum + three chords + tschüß Satztechnik + und schnelle Drums mit harten Akzent auf UND + jemand, der dazu brüllt -: Das ist nicht der ganze Punk, aber doch irgendwie der Kern, der zeitlos und monolithisch eine Gesellschaft begleitet, die sich rasend schnell zu verändern scheint.

Auch der Kleidungsstil hat sich wenig verändert. Immer noch viel Metall, ob in Form von Nieten, herunterhängenden Stahlketten, Ohr- Nasen und sonstigen Ringen, solange sie nicht am Finger sind. Die engen gewürfelten Hosen. Iro weniger, hat seine Zeit gehabt, kann aber auch wiederkommen. Weniger Leder, ich vermute, von wegen Tierschutz. Schief übereinanderliegende T-Shirts, man will nicht schön sein, auf keinen Fall: Schönheit ist der Inbegriff des falschen Lebens.

Ein Konzert im AKW Bitterfeld, im Niemandsland hinter dem Bahnhof, zwischen Bauwagen und Schutt aus einem Paradies, das es nie gab, eine Szenerie, die nicht von jetzt ist, sondern in die frühen Neunziger zurückweist, die Katastrophe nach der Katastrophe, als das Kapital sich in die Riesenbrache DDR fräste und alles beseiteschleuderte, was nicht ins Bild der entfesselten Marktwirtschaft passte. Da war alles Punk, Punk oder Angst oder das Wegtreten der Andern. Man musste nichts hinzufügen, sondern sich einfach hinstellen, das, was war, in Klang verwandeln. Und so ist es geblieben. Einfach so.

Zwischen Nichts und Nichts ein kleiner Schuppen, schlammige Wege dorthin, einige verblasste Graffitis, buntes Licht, dumpfe Gitarrenklänge, dann öffnet sich die Falltür zu einer Zeit, die keine Zeit mehr ist, wo nichts ist als das Anschreien gegen die Verhältnisse. Und weil sich die Verhältnisse nicht ändern, bleibt der Schrei der gleiche. Man hört seit Jahrzehnten dasselbe, und es klingt richtig, weil eigentlich keine Zeit vergangen ist seither. Punk ist die schmutzige Unterseite, der Dreck des Systems, seine Wahrheit, das hässliche Gesicht unsrer schönen Welt, das Unrecht, das es Tag für Tag, Stunde um Stunde begeht, der rasende Stillstand des Fortschritts. Solange das nicht aufhört, gibt es Punk.

Hinterlasse einen Kommentar